2002

Seit 1998 schreibe ich nun schon diese Jahresbriefe, die den ein oder anderen zum schmunzeln bringen und Freunde von uns, die weiter weg wohnen, auf dem laufenden halten. Ich möchte noch mal kurz zum Ende 2001 zurückgehen. Kurz nach dem die Jahresbriefe weg waren passierte nämlich noch etwas Unglaubliches. Vor 20 Jahren wurde mir eine Wirbelsäulenversteifung (Bechterew) diagnostiziert und vor 8 Jahren hatte ich zwei Hörstürze. Ein guter Bekannter sagte mir, ich solle mal einen Schwerbehindertenausweis beantragen. So stiefelte ich los und ließ mir aufgrund meiner Wirbelsäulenversteifung noch mal eine besondere Kernspintomographie meiner Wirbelsäule anfertigen. Ich dachte mir, auf die Tour bekomme ich wenigstens immer einen Sitzplatz in der Bahn, wenn ich nach einem achtstündigen Shopping in der Stadt nach Hause will. Am Ende aller Untersuchungen, es waren Monate vergangen, sitze ich also beim Arzt (kurz vor Sylvester) und der sagt zu mir: „Tja, Frau Neumann, Sie haben zwar das Gen für die Bechterew’ Krankheit  im Blut, aber bei Ihnen ist sie überhaupt noch nicht ausgebrochen und vor allen Dingen stehen Sie nicht so bequem sondern gerade, denn Sie sind völlig gesund. Das Kernspin-Tomogramm sagt: Alles okay!“ Der Arzt wünschte mir noch alles Gute und gab mir zum Abschied die Hand. Die nächsten 2 Stunden erlebte ich dann wie in Trance. Meine Füße gingen mechanisch durch die Gänge des Krankenhauses, ich ging zu meinem Motorroller und fuhr heim. Was war passiert? Was hatte der Arzt zu mir gesagt? 20 Jahre mit der Angst gelebt zu haben in einen Rollstuhl zu müssen. Nach einiger Zeit rief ich Helmut an, der auch wissen wollte, wann ich dann nun eingesteift bin. Ich erzählte ihm, was mir der Arzt gesagt hatte. Er war genau so sprachlos wie ich! Es dauerte noch ein paar Tage ehe wir feiern konnten. Noch einen kleinen Sprung muß ich machen. Im März gingen Helmut und ich spazieren und Helmut sagte: „Ach, wie schön ruhig das hier ist“ und im gleichen Atemzug sagte er: „Ach ja, du hörst ja Dein rauschen, ruhig ist es bei Dir ja nie!“ In dem Augenblick horchte ich auf meinen Tinnitus und meinte zu ihm, du wirst jetzt lachen aber ich höre kein Rauschen, Du hast Recht, es ist hier sehr ruhig. So beobachtete ich mehrere Tage meinen Tinnitus und siehe da, er kommt mich nur noch selten besuchen, meistens bei Stress aber immer nur kurz. End von der Geschicht’, ich strotze vor Gesundheit. Das war der Nachtrag zum Jahr 2001.

Der März ist mein Lieblingsmonat, dann kann ich wieder mit meiner Kettensäge schalten und walten. Drei kleine Bäumchen (ca. 10 m hoch) hatte ich schon lange im Visier und des öfteren zeigte ich Helmut, das sie Martina’s Auto zerkratzen könnten. Ich ließ nicht locker und nach einer Weile gab Helmut sein OK. Wie üblich meinte Helmut, das sei gefährlich und ich solle warten, bis er von der Arbeit käme. Michaela, ihrem Freund und mir juckten aber schon mittags die Hände und wir fingen schon mal an. Das Singen der Säge, die Spannung ob der Baum in die richtige Richtung fällt und nicht aufs Garagendach, geht das auch gut, ach es ist immer ein Erlebnis. Helmut kam nachmittags mit den Worten: „ Mir war klar, das Ihr nicht hören könnt, Ihr solltet doch warten, bis ich komme, wenn da was passiert.“ Im Vorgarten hatte ich noch ein Objekt meiner Begierde gefunden. Helmut zögerte, meinte, wenn der Baum auf die Straße fällt, da kommen Autos. Ach Quatsch, kein Problem, wenn der Baum füllt, stelle ich mich auf die Straße und sperre den Verkehr. Als alle Probleme beseitigt waren, gingen Helmut und Christian ans Werk, und siehe da, die Angst war unbegründet. Der Baum fiel nicht auf die Straße, sondern auf das Nachbargrundstück. Natürlich auf einen schönen Blumenstrauch. Nachdem wir den Baum vom Strauch gezogen hatten, zupfte ich hier und da dran, beseitigte die abgebrochenen Äste, hob die Blüten auf und schon konnte man nichts mehr sehen. Ein bisschen Verlust ist immer drin und außerdem grüßt der Nachbar immer so schön und auch das wird er mir verzeihen.

Anschließend kamen die Osterferien und die verbrachte ich mit Michaela in Bad Zwischenahn (Bildungsurlaub). Wie im Herbst des vergangenen Jahres hatten wir wieder eine Woche vollen Spaß. Eine Überraschungsparty für Helmut im April war ein voller Erfolg. Nach dem Helmut morgens arbeiten war und anschließend zum Schicksalsspiel gegen St. Pauli freute er sich abends auf sein Sofa und eine langersehnte Ruhe. So duschte er, zog sich seinen Schlafanzug an und stellte seine Füße in ein Fußmassagegerät mit warmen Wasser. Als gerade die Sportschau anfing, klingelte es und Sandra & Mario kamen vorbei. Er ging davon aus, das sie auf dem Sprung waren und fragte, ob er seinen Schlafanzug anlassen könne. 10 Minuten später klingelte es wieder, Elfi und Eckart kamen zu Besuch. Helmut rannte dann ins Badezimmer und zog sich wieder an mit den Worten, ich glaube das wird was Größeres. Er sollte recht behalten. Es kamen noch Rudi, Willi & Karola, Jan & Bernd, Wolfgang, Michaela’s Freund Christian, Michaela und Martina. Helmut’s Gesicht wurde immer länger, wo hin mit all den Gästen, schon kam ich mit Klappstühlen. Die hatte ich schon einen Tag vorher besorgt. Was tischen wir unseren Gästen auf, der Kühlschrank ist leer! Klar die Sachen waren versteckt, im Heizungskeller und in den Zimmern der Kinder. Während Helmut noch die Gäste begrüßte, schafften wir alles in die Küche. Um 20.00 Uhr hieß es dann: „Das Buffet ist eröffnet!“ Als Helmut seinen Nudelsalat und all die anderen leckeren Sachen sah, war er wieder der Alte. Die Bierflaschen wurden aus den Schränken der Kinder geholt und zurück in den Kühlschrank gestellt. Als Geschenk an Helmut hatten alle Gäste zusammengelegt und überraschten Helmut um 24.00 Uhr mit einer Ballonfahrt. Eigentlich sollte sie direkt am nächsten Morgen stattfinden. Trotz guter Organisation spielte aber das Wetter nicht mit und so musste die Ballonfahrt noch mehrmals angesetzt und verschoben werden, erst Ende Juli konnte Helmut, der „unerschrockene Luftfahrer des Bergischen“ mit dem Ballon fahren – für ein unbeschreibliches Erlebnis. Ende April hatte Helmut dann seinen ersten Auftritt als Schlagzeuger. Das Konzert fand in der Aula des Freiherr vom Stein-Gymnasiums statt und immerhin waren so ca. 400 Zuschauer anwesend. Die Musikschule präsentierte sich mit 25 Stücken quer Beet und Helmut durfte bei 2 Stücken mittrommeln. Ihr hättet mal sein Gesicht sehen sollen – volle Konzentration, da war für ein Lächeln kein Platz. Das einzige Aufregende im Mai war, das mein Bruder aus Peru vier Wochen bei uns wohnte. Da ihn die ganze Familie mochte, er aber auch sehr pflegeleicht war, war es eine schöne Zeit. Mein Bruder war auch noch bei unserer Silberhochzeit da, die wir Anfang Juni in der „Villa Wuppermann“ feierten. Alle unsere Freunde waren anwesend und feierten mit uns das gelungene Fest. Als Attraktion tanzen Sandra & Mario ihr Repertoire in lateinamerikanischen Tänzen. Auch wir mussten mit den beiden tanzen, zum Glück hatte wir ja einige Tanzkurse! Über das Fest gäbe es mehr zu schreiben aber der Jahresbrief soll ja kein Roman werden. Es war jedenfalls schöner als ich mir je ausgemalt hätte. Im Juni fingen Willi, Rudi, Helmut und ich das professionelle Tennisspielen an (mit Trainer – Pjong Il ein Südkoreaner) Wir gehen jede Woche spielen. Jetzt ist November und ich frage mich, was die Jungs dazugelernt haben? Ich bin zwar nicht Steffi Graf geworden, aber ich treffe wenigstens ab und zu den Ball. Spaß haben wir trotzdem. Im Juli bestand Martina ihre Abschlussprüfung zur Kauffrau für Bürokommunikation mit der Note „gut“. Nach langen Zittern – Bayer macht ja gerade eine Umstrukturierung ohnegleichen durch – bekam sie eine Traumstelle im Rechnungswesen. Uns fiel ein Stein vom Herzen. Auch Michaela beendete endlich ihre Schulzeit, ihre Praktikantenstelle in einem Kindergarten hatte sie schon fest. Ende Juli wurde unser Auto auf dem Bayerparkplatz aufgebrochen. Diebe nutzten unser Auto als Ersatzteillager. Die Gummidichtung der Tür wurde geklaut und später stellte sich fest, das auch die Hutablage geklaut war, allein die Hutablage kostete 500,-DM, alles in allem 800,-DM. Das sollte nicht der letzte Ärger mit dem Auto sein, dazu später. Im August verbrachten wir unseren Urlaub in der Nähe von Göttingen. Wir waren schon häufig übers Wochenende dort gewesen und wussten, was uns erwartet. Gutes Essen! Wandern bis die Füße qualmten. Das Wetter war ganz okay. Leider mussten wir nach 10 Tagen wieder heim, Helmut’s Eltern hatten Goldene Hochzeit und wir waren zur großen Feier eingeladen. Ende August war in Leverkusen eine Inliner-Nacht und es war klar das wir da mitmachen. Michaela und ihr Freund war dabei und zu meinem Entsetzen wollte Martina auch mit. Sie kann nicht bremsen, wollte es auch nicht lernen und so stellte sie eine Gefahr da, aber es ging gut. Helmut hatte schon seit einiger Zeit einen Fersensporn an beiden Füßen. Mit den Einlagen vom Arzt war er schmerzfrei. Angeblich passten die Einlagen nicht in seine Inliner und so wollte er lieber zusehen und fotografieren. Wenn ich jetzt anfange, höre ich nicht mehr auf zu schwärmen, so toll war das. Die erste Strecke war 9,5 km lang und nach einer kurzen Pause noch mal 6 km. Wir hatten viel Spaß. Helmut schaute mit einem Bierchen in der Hand zu, wie wir unsere runden drehten.

Im September hatte Helmut dann seinen zweiten Auftritt mit der Musikschule, jetzt schon mit 6 Stücken! Gute Freunde, die gekommen waren und unsere Kinder konnten ihm das Lampenfieber nicht nehmen, aber es ging alles gut.

Am 22. September waren wir beim Heimspiel des FC’s gegen Lübeck. Als wir freude-strahlend (wir hatten 2:1 gewonnen) zum Auto kamen, sahen wir eine Menschentraube vor unserem Wagen. Erst dachten wir, es wäre wegen dem riesigen Geißbock auf der Rückscheibe. Aber nein, die Rückscheibe war mit einem Stein eingeschmissen worden. Erst dachten wir, es läge an unserem Nummernschild, den wir haben ja leider ein „LEV“ drauf. Und Leverkusener sind in Köln eben nicht gerne gesehen. Später stellte sich heraus, dass Michaela Ihre Handtasche verlockend auf der Rückbank liegen gelassen hatte. Die Diebe hätten sich das sparen können, Michaela’s Geldbörse ist immer leer, aber leider waren auch ihre ganzen Papiere weg. Zuhause wollte Helmut dann den Sieg noch mal in der Sportschau sehen. Währenddessen rief ein Herr an, er hätte eine Handtasche mit Papieren gefunden, wir könnten sie in Solingen abholen. Wir also nach Solingen! Unterwegs sagte Michaela, dass auch ihr Hausschlüssel weg war. Nun wurde uns noch mulmiger. Wir fahren nach Solingen und zuhause räumen sie die Bude aus. Also riefen wir Martina an, sie solle die Kette vor die Tür machen. In Solingen warteten wir dann geschlagene 30 Minuten. Dann kam der Herr (Ausländer) und gab uns die Tasche. Er hatte Angst zur Polizei zu gehen (es war Blut an der Tasche und der Geldbörse). Wir sagten ihm, dass das Blut von den Einbrechern stammen müsste, sie hatten sich am Glas verletzt. Nur die Hausschlüssel waren weg! Also überredeten wir Helmut, noch mal zum Müngersdorfer Stadion zu fahren. Er hielt gar nichts davon, nachts um 23.00 Uhr in einen dunklen Wald zu fahren und da nach einem Schlüsselbund zu suchen. Er gab während der ganzen Fahrt dorthin keine Ruhe: „Ihr wisst, wie sinnlos die Fahrt ist“ usw. usw. Am Waldstück angekommen, stellte er das Auto quer und beleuchtete mit den Scheinwerfern den alten Parkplatz. Ein Pärchen, dass sich in einem Auto vergnügte (es wippte auf und ab), sah uns jetzt lieber zu, wie wir das hohe Gras durchkämmten, Gebüsche beiseite knickten usw. Helmut wollte schon nach 1 Minute aufhören: „Wo sollen wir hier suchen?“ Dem Pärchen wurde es zu ungemütlich, sie zogen sich langsam an, ohne uns aus den Augen zu lassen. Als Michaela plötzlich schrie: „ich habe ihn!“ und wir Freudentänze im Scheinwerferlicht aufführten, wurde es dem Pärchen zu bunt, sie starteten ihren Wagen und verließen fluchtartig den Parkplatz. Sie müssen wirklich gedacht haben, wir seien verrückt. Jetzt trumpften Michaela und ich die ganze Heimfahrt auf: „wir wussten, das wir den Schlüssel finden, man muß nur stark dran glauben!“ Helmut sagte nichts mehr, faselte nur was von „wir hätten einfach nur Glück gehabt“ und so.

Mit einer ehemaligen Schulkameradin (Petra) bin ich dann noch mal Anfang Oktober zu einem Bildungsseminar gefahren, Thema „Mobbing am Arbeitsplatz“. Jetzt weiß ich, wie man jemanden am besten mobben kann (vor allen Dingen das es nicht jeder mitkriegt). Ne Spaß beiseite, ein interessantes Thema und wir hatten eine erholsame Woche.

Im Intranet der Bayer AG fand Helmut mehrere Leute für seine Band. Einer hatte sogar einen Proberaum (mit Schlagzeug und Musikanlage), Nachteil war, der Proberaum war in Wuppertal. Der größte Nachteil aber war, der Besitzer des Proberaums war auch der Älteste (55 Jahre) und wollte, als man fragte, was spielen wir jetzt, „mit 66 Jahren“ von Udo Jürgens spielen. Oder etwas von Peter Alexander. Nach diesem ersten Zusammentreffen war klar, das gibt nichts. Helmut würde niemals Unterhaltungsmusik spielen. Da fallen im die Schlagstöcke aus der Hand. Auch die anderen wollten lieber Rockmusik spielen. Jetzt stehen sie wieder ohne Probenraum da und Helmut geht wie gewöhnlich 1 x die Woche zur Musikschule. Irgend wann klappt es dann auch mit der Band!

Am 1. November bin ich dann mit Martina (19 Jahre) für vier Wochen zu meinem Bruder nach Peru geflogen. Mein Bruder fuhr mit uns kreuz und quer durch Peru, oft waren wir mehrere Tage unterwegs. Ob die Luft dünn war (wir waren öfters über 4000m über dem Meeresspiegel) oder die stufen zu den alten Inka-Städten kein Ende nehmen wollten, Martina trabte immer vorne weg, meinem Bruder (54) und mir (auch schon 45) hing öfters die Zunge auf dem Knie, aber wir trabten Martina brav hinterher. Wir waren sogar im Urwald. Schlimm war das Gekreische der Affen, zum Glück ist mir keiner auf die Figur gesprungen. Zum Ausspannen (vor allen Dingen nach einer mehrtägigen Tour) fuhren wir oft in einen deutschen Club (1 Autostunde entfernt). Dort war es sehr warm, wir konnten im Bikini herumlaufen. Es gab verschiedene Swimming-Pools, Tennisplätze und Fronton-Plätze. Fronton ist so etwas ähnliches wie Squash, nur ohne Seitenwände, ohne Rückwand und im freien. Es ist eine typisch peruanische Sportart. Gegen Martina lieferte ich mir den ein oder anderen heißen Kampf, lief ich mir die Kehle aus dem Hals, kannte jeden Zentimeter des Platzes und oft genug hatte ich sie besiegt. Das musste auch sein, denn Martina kannte auch kein Mitleid wenn sie mich durch den Urwald scheuchte. Es war eine schöne Zeit und wir brachten viele Erinnerungen mit zurück.

Dezember: mir fällt auf, das ich mich ganz schön an das „Nichtstun“ gewöhnt habe. In Peru hatten wir ein Dienstmädchen, das für uns gekocht, wäscht, sauber macht etc. Außerdem ist es hier sehr kalt (in Peru ist Sommer). Daran muß man sich erst wieder gewöhnen. Wenn in den nächsten 15 Tagen nichts Gravierendes passiert kann ich sagen: 2002 war ein sehr gutes Jahr!

Ich bin neugierig auf 2003!!!!!

 

Wer nicht zufrieden ist mit dem was er hat,

der wäre auch nicht zufrieden mit dem, was er haben möchte!

Berthold Auerbach